SPURENSUCHE und Begegnung

„Ihr seid nicht schuld an dem, was  war. 

Aber ihr seid verantwortlich dafür, 

dass es nicht mehr geschieht.“ 

(Max Mannheim, Auschwitz-Überlebender)

Durch eine Begegnung unseres SPURENSUCHE-Teams bei den Sächsischen Jugendgeschichtstagen im November 2019 kam ein ganz außergewöhnliches Ereignis für unsere Schule, wenn nicht sogar für die Stadt Falkenstein, auf den Weg. 

Die Spurensucher aus der Trützschler-Oberschule, eine kleine Gruppe von geschichtsinteressierten Schülerinnen aus den Klassen 8 und 10 sowie zwei Geschichtslehrerinnen, hatten sich von April bis November im Rahmen des von der Stiftung Demokratische Jugend geförderten Programms mit dem Leben des Falkensteiners Alfred Roßner (1906 – 1943) beschäftigt. Dieser Mann hatte in der Zeit des Nationalsozialismus ein Textilunternehmen in Polen geleitet, das zuvor einem jüdischen Bekannten gehörte und arisiert worden war. Roßner, der in seiner Firma im Auftrag der SS Wehrmachtsuniformen produzieren ließ, nutzte seine Stellung, um seine vorwiegend jüdischen Angestellten zu schützen. Dank seiner Hilfe überlebten Menschen das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte. Ihm selbst war das nicht vergönnt. Er bezahlte mit seinem eigenen Leben für sein zutiefst menschliches Handeln. Jahrzehnte nach seinem Tod wurde er von Israel als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt     selbstverständlich erst nach eingehender Prüfung aller Umstände, denn diese Ehrung wird nur Nichtjuden zuteil, die ohne jegliche Gegenleistung sowie unter Gefahr für das eigene Leben Juden geholfen haben.

 

Angeregt durch die Buch-Autorin Frau Dr. Hannah Miska, die selbst über Alfred Roßner geforscht  und geschrieben hatte, befasste sich ein junges Historiker-Team aus der Trützschler-Oberschule über ein halbes Jahr genauer mit diesem stillen Helden, der bisher auch in seiner vogtländischen Heimat (geboren in Oelsnitz, zur Schule gegangen in Falkenstein) wenig bekannt war. Ziel war es, diesen Mann in Falkenstein und Umgebung stärker ins Blickfeld zu rücken, denn das hat er durch das, was er geleistet hat, mehr als verdient. Unterstützung bekamen wir bei unserem Vorhaben von Frau Dr. Miska, von Herrn Ralph Ide sowie vom Falkensteiner Heimat- und Museumsverein.

Alljährlich bei den Jugendgeschichtstagen präsentieren die Jugendgruppen, die eine Förderung über SPURENSUCHE erhalten haben, ihre Arbeitsergebnisse. Im Sächsischen Landtag findet dazu der öffentlich zugängliche Projektemarkt statt. 

Und genau dort kam es zu der oben erwähnten Begegnung: 

Der Landtagsabgeordnete Frank Richter, Theologe, Bürgerrechtler und ehemaliger Leiter der Zentrale für politische Bildung, besuchte unseren Stand, fand anerkennende Worte für unser Thema, dessen Umsetzung sowie für das Engagement der Projektteilnehmerinnen und bot uns spontan seine weitere Unterstützung an. Diese große Wertschätzung machte uns alle sehr stolz.

Bereits wenige Tage nach diesem zufälligen Zusammentreffen in Dresden meldete sich Herr Richter. Der 27.01.2020 wurde als Termin für eine ganz besondere Veranstaltung an unserer Schule festgelegt. An diesem Tag, dem 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, würde Herr Richter mit der Holocaust-Überlebenden Henriette Kretz (85), die heute in Antwerpen lebt, zu uns kommen. Henriette Kretz war in den vergangenen Jahren bereits zweimal bei uns zu Gast und bei jedem Besuch hatte sie unvergessliche Eindrücke bei allen, die ihr zuhören durften, hinterlassen. So war es auch diesmal. Doch dazu später.

Schon im Vorfeld dieser Veranstaltung waren wir mehr als überwältigt von dem enormen Medieninteresse, das sich für unser Schulprojekt nun ergab. Nahezu täglich kamen Anrufe, um Interviewtermine mit unserem Spurensuche-Team zu vereinbaren. MDR Kultur, MDR Radio, MDR Sachsenspiegel, Vogtland-Anzeiger, Freie Presse, ZDF     sie alle kamen an die Schule und berichteten über unser Projekt. Mit dieser Resonanz hatte keiner gerechnet, aber mittlerweile ist Alfred Roßner sogar weit über Falkenstein hinaus bekannt geworden, d.h. unser Projektziel wurde mehr als erreicht.

 

Der Höhepunkt all dieser Aktivitäten fand dann aber wirklich am 27.01.2020 statt. Die Aula war voll besetzt mit Schülern sowie vielen interessierten Menschen aus unserer Region, die gekommen waren, um diesen besonderen Erinnerungstag mit uns zu begehen, um Henriette Kretz‘ Schicksalsbericht zu lauschen sowie um anschließend auf dem Friedhof Alfred Roßners zu gedenken.

Auch diesmal hätte man wieder eine Stecknadel fallen hören können, als Frau Kretz, die kleine Musia aus ihrem Buch „Willst du meine Mutter sein?“, ihre Erinnerungen an die schreckliche Zeit, als ihr durch deutsche Soldaten die Eltern genommen wurden, mit uns teilte. Ein kleines jüdisches Mädchen aus Polen verlor seine Eltern, die sich opferten, um ihre Tochter zu retten. Und das kleine Mädchen überlebte tatsächlich, weil es Menschen gab, die es aufnahmen und beschützten, bis der einzige Verwandte, den es noch hatte, nach dem Krieg kam, um mit dem Kind zusammen eine neue Heimat zu finden. 

Henriette Kretz beeindruckte alle Anwesenden mit ihren Worten zutiefst     kein Wort von Hass, aber die Botschaft, vor allem an die jungen Menschen im Raum: „Lasst so etwas nie wieder geschehen!“

Anderen Menschen Schutz zu bieten und Hilfe zum Leben zu geben     hier tun sich die Parallelen zwischen der Geschichte unserer Zeitzeugin, die gerettet wurde, und Alfred Roßner, der Menschen rettete, auf. Und um ihn, den selbstlosen Retter zu ehren, begaben sich viele Teilnehmer der bewegenden Veranstaltung anschließend auf den Falkensteiner Friedhof. Dort existiert seit einigen Jahren eine kleine Gedenktafel für Alfred Roßner und an dieser Stelle traf man sich, um an ihn zu erinnern. Lena Rölz, die Urenkelin eines Mitstreiters von Alfred Roßner, bewegte mit der Musik aus dem Film „Schindlers Liste“, vorgetragen mit dem Saxophon, die Herzen aller Anwesenden. In ihren Ansprachen erinnerten Frank Richter und Hannah Miska an die Wichtigkeit des Gedenkens an einen Menschen, der auch in schlimmen Zeiten seinen guten und richtigen inneren Wertekompass nicht verloren hatte. Der stellvertretende Bürgermeister Ronny Kadelke deutete an, dass in Falkenstein bereits über weitere Formen der Ehrung Roßners nachgedacht wird. 

Nach einer Schweigeminute, am Ende der kleinen Zeremonie, die am Abend dieses denkwürdigen Tages sogar mehrfach im MDR sowie im ZDF gezeigt wurde,  legten die Anwesenden Blumen an der Gedenktafel nieder.

Gedenkstein für Alfred Roßner Foto von David Rötzschke

Am 11.03.2020 wird an der Trützschler-Oberschule als Projektabschluss eine weitere Veranstaltung stattfinden. Frau Dr. Miska wird aus einem ihrer Bücher über Alfred Roßner lesen. Alle Interessenten sind dazu ganz herzlich eingeladen. Wir bitten darum, dass sich die Teilnehmer bis zum 09.02. unter Tel. 03745 / 5541 bei uns anmelden. Die Veranstaltung beginnt um 15 Uhr.

Martina Wohlgemuth

Lehrerin für Deutsch und Geschichte,

Leiterin des Roßner-Projektes